Firmenchefs in kotierten Unternehmen verdienen in der Schweiz durchschnittlich rund 7 Millionen Franken pro Jahr. Ihre Wirkung auf den Firmenwert und dessen Gewinn sollte natürlich grösser sein, damit Dividenden ausgeschüttet werden können und die Börsenkurse steigen.
Diese Erwartung realisiert sich gelegentlich mit negativem Vorzeichen. Wenn die Selbstüberschätzung zu illegalen Handlungen und Reputationsschaden führt und Beteiligungen abgewickelt werden müssen – wenn der Realitätsverlust sich in betrügerisch überhöhten Bilanzsummen niederschlägt, die zum Konkurs führen – wenn ein Nachbarschaftsstreit und das Misstrauen unter Geschäftsleitungskollegen die Vernichtung von Börsenwerten in dreistelliger Millionenhöhe zur Folge haben, dann handelt es sich lediglich um spektakuläre Beispiele für ein sehr viel weiter verbreitetes Phänomen: wenn Chefs ihr Geld nicht wert sind.
Perfider wird es, wenn sie schnelle Gewinne auf Kosten der Substanz maximieren und der Schaden erst viel später eintritt: Investitions- oder Sanierungsstau im Anlagevermögen, ungenügende Fach- und Führungskräftepipeline oder zerrüttete Firmenkultur mit hohen Fluktuationen zum Beispiel. Ein weiterer Trick ist die Kennzahlenkosmetik sowie Aktienkursoptimierung durch Aktienrückkäufe, die eine geringe Performance verschleiern, Insidergeschäfte ankurbeln und Aktienoptionen von Führungskräften hochpreisig monetarisieren lassen.
Der Zukunftswert von Personalentscheiden
Das eine lässt sich mit anderen Anreizsystemen lösen, das andere mit besseren Personalentscheiden. «Es ist nicht alles Gold, was glänzt» ist ein wertvolles Sprichwort, um den Zukunftswert von Personalentscheiden bei Führungskräften zu verbessern.
Es lohnt sich, hinter die Oberfläche zu blicken. Einige Entscheider inszenieren dafür überraschend konfrontative Situationen. Im Stress zeigt sich der Mensch. Ein Kaffeefleck auf dem teuren Anzug, unangenehme Verspätung oder ein kritisches Feedback zur Person bedeuten für zweifelhafte Menschen bereits sehr viel Stress, auf den sie zuweilen auffällig reagieren. Ein finanziell eher mittelmässiges Package entlarvt die gierigen Egozentriker. Wer sich traut, Ablehnung auszulösen, erhält am Ende oft das bessere Ergebnis. Dafür müssen wir etwas unbequem sein. Und zwar mehrfach: Führungskräfte behalten, entlassen, befördern oder neu einstellen sind verschiedene Personalentscheide. Jeder einzelne hat seinen Zukunftswert.
https://getdiversity.ch/wp-content/uploads/2021/04/Bruecke-Technorama-2.jpg11221681Esther de Boerhttps://getdiversity.ch/wp-content/uploads/2018/09/GD_Logo_Blau@4x-300x95.pngEsther de Boer2021-04-01 07:34:272021-04-13 07:39:09unbequem sein lohnt sich
Was hat Wissenschaft mit Politik zu tun und was Technologie mit Verwaltung? Und wie hängt das alles mit Wirtschaft zusammen? Diese immer drängenderen Fragen müssen wir in der Schweiz diskutieren.
Mit CH++ und Franxini haben sich zwei neue Organisationen formiert, die sich für ein besseres faktenbasiertes Verständnis zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik einsetzen. Franxini macht Wissenschafterinnen fit für die politischen Systeme und Prozesse und fördert damit die Vermittlungsfähigkeit der Wissenschaft. CH++ setzt sich dafür ein, dass Politik und Verwaltung sowie die Bevölkerung ihr Verständnis für Wissenschaft und Technologie verbessern.
Nach einer Studie der MIT Sloan School gelten nur 25 Prozent der CEO und 12,5 Prozent der CFO als technologieaffin – die anderen sind ein Risiko für die Unternehmensentwicklung. Die IT wird in vielen Firmen lediglich als Kostenstelle und Dienstleistung im Finanzdepartement betrachtet.
“Technologie kann man nicht aus der zweiten oder dritten Reihe führen.”
Und genau da liegt das Problem, wie CIO und CDO Ursula Soritsch-Renier im jüngsten BoardCast von GetDiversity sagt. Technologie ist ein zentrales Produktionsmittel für Marktleistungen. Mit ihr werden Innovationen umgesetzt. Und sie ist mit Investitionen verbunden. «Das kann man nicht aus der zweiten oder dritten Reihe führen.» Das gilt für Politik und Verwaltung – und die Wirtschaft.
Der Wohlstand unseres Landes hängt davon ab, ob wir als Gesellschaft in der Lage sind, die Errungenschaften der Wissenschaft und Technologie wertschöpfend und nutzenstiftend in allen Lebensbereichen anzuwenden. Darum brauchen wir in den Führungsspitzen der Wirtschaft, Politik und Verwaltung Menschen mit Verständnis für Wissenschaft und Technologie, damit deren Chancen und Möglichkeiten tatsächlich realisiert werden können.
“Die IT gilt in vielen Firmen nur als Kostenstelle”
Woran erkennt man diese Menschen? «Sie können gut zuhören und haben das Bewusstsein und die damit einhergehende Bescheidenheit, nicht alles selber können und wissen zu müssen» sagt die CIO. «Es sind immer Teamleistungen: Zusammen wissen wir es. Dafür braucht die Technologie einen gleichberechtigten Platz am Tisch.»
https://getdiversity.ch/wp-content/uploads/2020/07/Fotolia_158446487_Subscription_Monthly_XXL.jpg36485472Esther de Boerhttps://getdiversity.ch/wp-content/uploads/2018/09/GD_Logo_Blau@4x-300x95.pngEsther de Boer2021-03-15 12:22:572021-03-17 12:44:29Zusammen wissen wir es
Wie haben Sie es so mit Daten, Fakten und dem technologischen Fortschritt? Dieses kopfige Zeugs bereitet manchem keine Lust. Der Bauchmensch rebelliert. Doch sind wir hier im Innovationsland Schweiz nicht alle Kopfmenschen, für die wissenschaftliche Studien, Simulationen mit komplexen Softwaremodellen und künstliche Intelligenz pure Erotik bedeuten? Nein?
Im Gegenteil. Bei vielen Menschen lösen sie unbesehen Ablehnung aus. Wir wollen uns von zu viel Wissen lieber nicht aus der gewohnten Bahn werfen lassen. Solange das Wissen die eigene Komfortzone nicht bedroht, ist es noch okay. Aber wehe, wenn neue Einsichten uns vom eingeschlagenen Weg abbringen würden. In der Schweiz lieben und verehren wir unsere Stabilität und Kontinuität. Es ist hier so paradiesisch bequem. Alles Neue muss sich erst mal beweisen, bevor es angenommen wird. Im eigenen Land natürlich, denn der Sonderfall Schweiz kann unmöglich von anderen lernen. Bei uns ist alles anders. Besser. Und darum muss es so bleiben, wie es ist.
Der Apfel der Erkenntnis zwang schon Adam und Eva dazu, das Paradies zu verlassen.
Seit Menschengedenken haben wir ein zwiespältiges Verhältnis zur Vernunft. Wohl ebenso lange brennt in uns die Sehnsucht nach dem unwissenden Müssiggang. Im Paradies ist alles vorstellbar und wünschbar, was schön erscheint. In der harten Realität nerven Fakten und Rahmenbedingungen, die die trügerische Freiheit der Fantasie einschränken. Da wird es eng und manchmal ungemütlich. Und die sich ständig wandelnde Realität zwingt uns dauernd zum Nachdenken. Das ist anstrengend. Widerstand kommt auf.
Seit Menschengedenken haben wir ein zwiespältiges Verhältnis zur Vernunft.
Wie viel anziehender ist es doch, den Paradiesvögeln und Traumtänzern mit inhaltlichem Erfindergeist zu folgen, die es nicht so genau nehmen. Wie viel entspannter erscheint es, den einfachen Erklärungen Glauben zu schenken, nur weil sie so leicht verständlich sind. «Jedes komplexe Problem hat eine einfache Lösung, die falsch ist.» lautet ein Bonmot. Wer mit solch bequemer Haltung Politik macht und Algorithmen entwickelt, macht zwangsläufig fatale Fehler. Denn Algorithmen sind nichts anderes als Regeln dafür, wie mit bestimmten Situationen umgegangen werden soll. Das gilt für Verordnungen genauso wie für Software. Wir haben die Wahl: Beissen wir in den Apfel der Erkenntnis?
«Jedes komplexe Problem hat eine einfache Lösung, die falsch ist.»
https://getdiversity.ch/wp-content/uploads/2021/02/AdobeStock_214666603-scaled.jpeg14402560Esther de Boerhttps://getdiversity.ch/wp-content/uploads/2018/09/GD_Logo_Blau@4x-300x95.pngEsther de Boer2021-02-11 14:55:272021-02-23 15:00:40Apfel der Erkenntnis
unbequem sein lohnt sich
| Esther de BoerFirmenchefs in kotierten Unternehmen verdienen in der Schweiz durchschnittlich rund 7 Millionen Franken pro Jahr. Ihre Wirkung auf den Firmenwert und dessen Gewinn sollte natürlich grösser sein, damit Dividenden ausgeschüttet werden können und die Börsenkurse steigen.
Diese Erwartung realisiert sich gelegentlich mit negativem Vorzeichen. Wenn die Selbstüberschätzung zu illegalen Handlungen und Reputationsschaden führt und Beteiligungen abgewickelt werden müssen – wenn der Realitätsverlust sich in betrügerisch überhöhten Bilanzsummen niederschlägt, die zum Konkurs führen – wenn ein Nachbarschaftsstreit und das Misstrauen unter Geschäftsleitungskollegen die Vernichtung von Börsenwerten in dreistelliger Millionenhöhe zur Folge haben, dann handelt es sich lediglich um spektakuläre Beispiele für ein sehr viel weiter verbreitetes Phänomen: wenn Chefs ihr Geld nicht wert sind.
Perfider wird es, wenn sie schnelle Gewinne auf Kosten der Substanz maximieren und der Schaden erst viel später eintritt: Investitions- oder Sanierungsstau im Anlagevermögen, ungenügende Fach- und Führungskräftepipeline oder zerrüttete Firmenkultur mit hohen Fluktuationen zum Beispiel. Ein weiterer Trick ist die Kennzahlenkosmetik sowie Aktienkursoptimierung durch Aktienrückkäufe, die eine geringe Performance verschleiern, Insidergeschäfte ankurbeln und Aktienoptionen von Führungskräften hochpreisig monetarisieren lassen.
Das eine lässt sich mit anderen Anreizsystemen lösen, das andere mit besseren Personalentscheiden. «Es ist nicht alles Gold, was glänzt» ist ein wertvolles Sprichwort, um den Zukunftswert von Personalentscheiden bei Führungskräften zu verbessern.
Es lohnt sich, hinter die Oberfläche zu blicken. Einige Entscheider inszenieren dafür überraschend konfrontative Situationen. Im Stress zeigt sich der Mensch. Ein Kaffeefleck auf dem teuren Anzug, unangenehme Verspätung oder ein kritisches Feedback zur Person bedeuten für zweifelhafte Menschen bereits sehr viel Stress, auf den sie zuweilen auffällig reagieren. Ein finanziell eher mittelmässiges Package entlarvt die gierigen Egozentriker. Wer sich traut, Ablehnung auszulösen, erhält am Ende oft das bessere Ergebnis. Dafür müssen wir etwas unbequem sein. Und zwar mehrfach: Führungskräfte behalten, entlassen, befördern oder neu einstellen sind verschiedene Personalentscheide. Jeder einzelne hat seinen Zukunftswert.
Kolumne von Esther-Mirjam de Boer in der Handelszeitung vom 1. April 2021.
Mehr von Esther-Mirjam de Boer finden Sie hier.
Zusammen wissen wir es
| Esther de BoerWas hat Wissenschaft mit Politik zu tun und was Technologie mit Verwaltung? Und wie hängt das alles mit Wirtschaft zusammen? Diese immer drängenderen Fragen müssen wir in der Schweiz diskutieren.
Mit CH++ und Franxini haben sich zwei neue Organisationen formiert, die sich für ein besseres faktenbasiertes Verständnis zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik einsetzen. Franxini macht Wissenschafterinnen fit für die politischen Systeme und Prozesse und fördert damit die Vermittlungsfähigkeit der Wissenschaft. CH++ setzt sich dafür ein, dass Politik und Verwaltung sowie die Bevölkerung ihr Verständnis für Wissenschaft und Technologie verbessern.
Nach einer Studie der MIT Sloan School gelten nur 25 Prozent der CEO und 12,5 Prozent der CFO als technologieaffin – die anderen sind ein Risiko für die Unternehmensentwicklung. Die IT wird in vielen Firmen lediglich als Kostenstelle und Dienstleistung im Finanzdepartement betrachtet.
Und genau da liegt das Problem, wie CIO und CDO Ursula Soritsch-Renier im jüngsten BoardCast von GetDiversity sagt. Technologie ist ein zentrales Produktionsmittel für Marktleistungen. Mit ihr werden Innovationen umgesetzt. Und sie ist mit Investitionen verbunden. «Das kann man nicht aus der zweiten oder dritten Reihe führen.» Das gilt für Politik und Verwaltung – und die Wirtschaft.
Der Wohlstand unseres Landes hängt davon ab, ob wir als Gesellschaft in der Lage sind, die Errungenschaften der Wissenschaft und Technologie wertschöpfend und nutzenstiftend in allen Lebensbereichen anzuwenden. Darum brauchen wir in den Führungsspitzen der Wirtschaft, Politik und Verwaltung Menschen mit Verständnis für Wissenschaft und Technologie, damit deren Chancen und Möglichkeiten tatsächlich realisiert werden können.
Woran erkennt man diese Menschen? «Sie können gut zuhören und haben das Bewusstsein und die damit einhergehende Bescheidenheit, nicht alles selber können und wissen zu müssen» sagt die CIO. «Es sind immer Teamleistungen: Zusammen wissen wir es. Dafür braucht die Technologie einen gleichberechtigten Platz am Tisch.»
Kolumne von Esther-Mirjam de Boer in der Handelszeitung vom 11. März 2021.
Mehr von Esther-Mirjam de Boer finden Sie hier.
Apfel der Erkenntnis
| Esther de BoerWie haben Sie es so mit Daten, Fakten und dem technologischen Fortschritt? Dieses kopfige Zeugs bereitet manchem keine Lust. Der Bauchmensch rebelliert. Doch sind wir hier im Innovationsland Schweiz nicht alle Kopfmenschen, für die wissenschaftliche Studien, Simulationen mit komplexen Softwaremodellen und künstliche Intelligenz pure Erotik bedeuten? Nein?
Im Gegenteil. Bei vielen Menschen lösen sie unbesehen Ablehnung aus. Wir wollen uns von zu viel Wissen lieber nicht aus der gewohnten Bahn werfen lassen. Solange das Wissen die eigene Komfortzone nicht bedroht, ist es noch okay. Aber wehe, wenn neue Einsichten uns vom eingeschlagenen Weg abbringen würden. In der Schweiz lieben und verehren wir unsere Stabilität und Kontinuität. Es ist hier so paradiesisch bequem. Alles Neue muss sich erst mal beweisen, bevor es angenommen wird. Im eigenen Land natürlich, denn der Sonderfall Schweiz kann unmöglich von anderen lernen. Bei uns ist alles anders. Besser. Und darum muss es so bleiben, wie es ist.
Seit Menschengedenken haben wir ein zwiespältiges Verhältnis zur Vernunft. Wohl ebenso lange brennt in uns die Sehnsucht nach dem unwissenden Müssiggang. Im Paradies ist alles vorstellbar und wünschbar, was schön erscheint. In der harten Realität nerven Fakten und Rahmenbedingungen, die die trügerische Freiheit der Fantasie einschränken. Da wird es eng und manchmal ungemütlich. Und die sich ständig wandelnde Realität zwingt uns dauernd zum Nachdenken. Das ist anstrengend. Widerstand kommt auf.
Wie viel anziehender ist es doch, den Paradiesvögeln und Traumtänzern mit inhaltlichem Erfindergeist zu folgen, die es nicht so genau nehmen. Wie viel entspannter erscheint es, den einfachen Erklärungen Glauben zu schenken, nur weil sie so leicht verständlich sind. «Jedes komplexe Problem hat eine einfache Lösung, die falsch ist.» lautet ein Bonmot. Wer mit solch bequemer Haltung Politik macht und Algorithmen entwickelt, macht zwangsläufig fatale Fehler. Denn Algorithmen sind nichts anderes als Regeln dafür, wie mit bestimmten Situationen umgegangen werden soll. Das gilt für Verordnungen genauso wie für Software. Wir haben die Wahl: Beissen wir in den Apfel der Erkenntnis?
Kolumne von Esther-Mirjam de Boer in der Handelszeitung vom 11. Februar 2021.
Mehr von Esther-Mirjam de Boer finden Sie hier.